"O wie aufregend!" vs. "Was willst 'n da?!"
- vevefaitlaboum
- 1. Apr. 2020
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Apr. 2020
Wie Menschen mit der Information umgehen, dass ich nach Amerika gehen werde, ist komplett unterschiedlich. Je nachdem, wie gut man sich kennt, wie nahe man sich steht und welche Empathiefähigkeit vorhanden ist, kann es da zu sehr schönen, aber auch sehr anstrengenden Reaktionen kommen.
Worauf ich absolut keine Lust mehr habe und was mir auch komplett ausm Hals raushängt, ist die Frage in der Überschrift. Dieses Gefühl was so oft vermittelt wird, mich rechtfertigen zu müssen, mir gerade dieses Land AUSGESUCHT zu haben, um auszuwandern. Deshalb tu ich das auch hier nicht - es sollte klar sein, warum ich das mache. Die Frage ist nicht, was ich durch den Schritt alles verliere, sondern vor allem sehe ich die Chancen, die sich darin verbergen. Das ist vielleicht ein bisschen verblendet, aber ich sehe mich schon durchweg als Optimistin, irgendwie geht es immer weiter. So wie ich in die Welt reingucke, so guckt sie auch zurück. Deshalb bin ich auch ziemlich überzeugt, dass unser Leben dort sehr schön werden wird. Und dass es nicht für immer sein MUSS, ist auch klar.
Eine Reaktion, die bei mir glaube ich noch auf sich warten lässt, bis ich wirklich weg bin, ist Traurigkeit. Das Alter um die Mitte 20 bringt so viele Veränderungen mit sich, Freunde ziehen in andere Städte, erste Lebensentscheidungen werden getroffen und das beeinflusst auch Freundschaften. Wir sind zwar gerade noch am Anfang, unsere Leben einzurichten, und trotzdem trauert man schon etwas den 'guten alten Zeiten' hinterher, während derer man sich jeden zweiten Abend trifft, quatscht, sich austauscht und das Leben einfach entspannt dahin plätschert. Auszuwandern ist in der Beziehung einfach ein sehr radikaler Einschnitt, bei dem ich mir auch sehr bewusst bin, dass die eine oder andere Freundschaft das nicht überstehen wird. Deswegen kann ich diese Traurigkeit sehr gut nachvollziehen. Aber durch die Vorfreude, die bei mir aktuell eher herrscht, setzt das bei mir eher später ein. Auch im familiären Kontext macht sich dieses Gefühl sehr breit in letzter Zeit, und ich versuche sehr intensiv, diese letzten Wochen, in denen wir ja sogar gezwungen sind, die kompletten Wochenenden miteinander zu verbringen, intensiv zu erleben und viele schöne Erlebnisse mitzunehmen.
Was mir leider auch oft begegnet, sind Vorurteile. 'Die Amis' sind so und so und so, alles schön generalisieren und bloß nicht reflektieren. Nicht jeder Deutsche sitzt jeden Dienstag pünktlich wie die Eisenbahn mit Bier in der Hand und wurstfressend, Lederhosen oder Dirndl tragend in der top durchorganisierten Kneipe. Dass nicht jeder 'Ami' direkt oberflächlich, dumm, prüde, konservativ und Trump-Lover ist, sollte irgendwie klar sein finde ich. Und trotzdem muss ich bei so vielen Aussagen einiger Leuten darauf hinweisen, Dinge gerade rücken und für sie Perspektivwechsel vollziehen. Solche Generalisierungen empfinde ich als respektlos, kurzsichtig und einfach dämlich und mittlerweile auch als Witz gemeint nicht mehr allzu lustig.
Am schönsten ist es eigentlich, wenn ich merke, dass Menschen sich für mich und uns freuen. Auch interessierte Nachfragen, wie der ganze Prozess bisher so gelaufen ist, finde ich super. Ehrliches Interesse ist toll und liefert mir teilweise noch neue Denkanstöße. Dass es gerade bei Familie und engen Freunden nicht immer so leicht ist, die physikalische Distanz, die für lange Zeiträume herrschen wird, auszublenden, verstehe ich komplett und spüre ich auch im gewissen Maß. Ehrlich gesagt freue ich mich auch einfach auf diese neue, aufregende Zeit den Alltag miteinander zu teilen, andere Menschen kennen zu lernen und eine zwar ähnliche, aber doch fremde Kultur zu erleben. Viele Menschen haben die Tendenz, ganz schnell abzuurteilen, wenn es um Dinge geht, die sie nicht direkt verstehen oder sich damit nicht identifizieren können. Kenn ich nicht - hat keine Daseinsberechtigung und ist schwachsinnig/lächerlich/unnütz und was sonst noch alles. Ich nehme mich da gar nicht raus, solche Gedanken der Abgrenzung sind ja irgendwie normal, aber gerade in letzter Zeit versuche ich aktiv, auch mal für mich selbst 'nen Perspektivwechsel zu vollziehen, wenn ich merke, dass ich Meinungen zu schnell verurteile. Das sollte ich wohl jetzt schon üben, wo ich ja weiß, dass ich bald mit vielen kulturellen Eigenheiten konfrontiert bin, die hier in Deutschland nicht wirklich eine Rolle spielen.

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